Bundesallee in West-Berlin
Auto, Auto über alles
Mit der Planung und dem Bau eines inneren Autobahn-Teilrings und dem Ausbau der Bundesallee zur Autoschnellstraße markierten die 1960er Jahre den Gipfel des Umbaus zur autogerechten Stadt in West-Berlin. Die Bundesallee (bis 1950 Kaiserallee) verband ab 1872 das aufstrebende neue Zentrum am Auguste-Viktoria-Platz (heute Breitscheidplatz) mit der stadtauswärts führenden Berlin–Potsdamer Chaussee (heute Rheinstraße). Gleichzeitig diente die 3,7 Kilometer lange Prachtstraße der Erschließung eines ambitionierten städtebaulichen Projekts, das nach dem Hamburger Stadtentwickler Johann Anton Wilhelm Carstenn benannt worden ist. Der geometrische Grundriss dieser „Carstenn‘schen Figur“ mit seinen markanten Plätzen gehört zu den bedeutendsten städtebaulichen Zeugnissen Berlins. Von den grünen Stadtplätzen, die der Wilmersdorfer Gartendirektor Richard Thieme darin gestaltete, ist nach dem autoorientierten Ausbau der 1960er Jahre allerdings wenig übrig geblieben. Insbesondere der zentrale Stadtraum der Bundesallee mit seinen prägenden Bauten und Plätzen wurde durch Tunnels und Rampen, Über- und Unterführungen entstellt und entwertet.
Eröffnung des Verkehrstunnels am Bundesplatz, 4. März 1967
Die Auto-Straße und ihre Bauten
Mit der Eröffnung des Bundeshauses in dem Gebäude Nr. 216-218 im Jahr 1950 und dem Wunsch, dass „Berlin [...] Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland und ihre Hauptstadt sein solle“ (Willy Brandt), wurde die Kaiserallee in Bundesallee umbenannt. In den Jahren 1958-1965 setzte der Bausenator Rolf Schwedler zwölf Bebauungspläne entlang der Bundesallee in Kraft: Der Straßenzug sollte aufgeweitet, Baulücken und Straßenecken sollten mit zurückgesetzten Wohn- und Geschäftshäusern aufgefüllt werden. Riesige Bauten wie die Geschäftsstelle des ADAC, die Berliner Sparkassenzentrale und die Wohnbaukreditanstalt fanden hier ihren repräsentativen Sitz.
Ansicht des Wohnhochhauses Berliner Straße/Ecke Bundesallee, nach 1966
Ansicht des Büro- und Wohnhauses Bundesallee 219/220, nach 1965
Selbstbewusst positioniert sich der Neubau zwischen bedeutsamen denkmalgeschützten Altbauten. Die Gebäude des Architekten Helmut Ollk gingen damals in Serie: Mitte der 1960er Jahre wurde die Bundesallee deshalb gerne auch „Ollk-Allee“ genannt.
Das ADAC-Haus an der Bundesallee 29/30 von Willy Kreuer (mit Herbert Stranz), nach 1961
Die Pkw-Zulassungen stiegen in den 1950er Jahren stetig, so auch die Zahl der ADAC-Mitglieder. Als 1961 über eine Million Verkehrsunfälle gezählt wurden, forderte der größte Automobilclub Europas die Verkehrserziehung für Kinder.
Luftbild mit Blick auf den Sitz der Sparkassenzentrale, Bundesallee 171, von Günter Behrmann, 1968
Der Autobankschalter der Sparkasse der Stadt Berlin-West in der Bundesallee 171, 1965
Drive in: Hier hat der Dienst am Kunden oberste Priorität! Allerdings nur bis zu einer Durchfahrtshöhe von 2,40 Metern.
Die sogenannte „Fahrbare Zweigstelle“ vor der Sparkassenzentrale Berlin-West, Bundesallee Ecke Badensche Straße, 1969
Der Sparkassenbus hatte um 1970 eigene Haltestellen in Berlin, bis die Stadt flächendeckend mit Zweigstellen versorgt war.
Die Auto-Plätze
Während am Friedrich-Wilhelm-Platz und am Bundesplatz die ursprüngliche Randbebauung und damit der historische Platzraum wenigstens in Teilen erhalten geblieben ist, erweiterten die zurückgesetzten Nachkriegsbauten im Norden der Bundesallee den Straßenraum erheblich. Am nördlichen Ende laufen acht Straßen in einer weiträumigen Kreuzung zusammen, vom Berliner Volksmund „Spinne“ genannt. Aus den überbreiten Grünstreifen sollte sich hier laut Planung ein „Fly-over“ (Hochstraße) in die Meierottostraße schwingen, auf dem die City West umfahren werden konnte. Von der ursprünglichen Raum- und Platzgestaltung hat die Verkehrsplanung hier nichts übrig gelassen.
Luftbild mit Blick auf die Vorhalteflächen für den geplanten „Fly-over“ an der Kreuzung Bundesallee/Hohenzollerndamm, 1976
Der Traum von Hochstraße und Tunnel wurde erst 1979 aufgegeben. Bis dahin waren bereits 30 Grundstücke „beräumt“ worden. Die überdimensionierten Mittelstreifen werden heute als Parkplatz genutzt.
Der erste Rammschlag für den Straßen- und U-Bahn-Tunnel am Bundesplatz, Anfang der 1960er Jahre
Der Tunnelbau bedeutete eine vieljährige Lärm- und Leidenszeit für die geplagten Anwohner am „Buddelplatz“. Die Rücksichtslosigkeit der Baufirmen soll geradezu legendär gewesen sein.
Luftbild mit Blick auf die Bundesallee in Richtung Rheinstraße und Steglitzer Kreisel, 1976
Die Achse ist gebrochen: Der einstige Schmuckplatz mit der Kirche zum Guten Hirten wird von einer sechsspurigen Autotrasse durchkreuzt, der Platzrest wurde mit Mauerscheiben und Sitzbänken im „Wohnzimmerstil“ neu eingerichtet.
Bebauungsplan für den Ausbau des Friedrich-Wilhelm-Platzes, 1965
Die Verbindung der Schmiljanstraße mit der Bundesallee hat nicht nur den einstigen Schmuckplatz zerstört. Sieben Häuser sollten samt ihrer Vorgärten „geschleift“ werden. Davon gibt es heute nur noch zwei; sie stehen unter Denkmalschutz.
Tunnel und Brücken
Laut Verkehrsplanung waren auf der „Hauptverbindungsstrecke“ Bundesallee weitere „Verkehrsebenen“ erforderlich, damit die Verkehrsströme „kreuzungsfrei“ fließen können. Während der 1967 eröffnete Bundesplatztunnel der Entlastung eines „Verkehrsknotenpunktes mit starkem Abbiegeverkehr“ dienen sollte, hatte der zweite Wilmersdorfer Tunnel die Aufgabe, zwei Kreuzungen und die Verbindung zwischen Amts- und Regierungssitz im Rathaus Schöneberg und dem Fehrbelliner Platz zu unterqueren. Im Jahr 1971 erhält die nur noch an wenigen Stellen für Fußgänger querbare Bundesallee einen Steg auf der Höhe des Volksparks.
Blick von unten: die nördliche Rampe des Bundesplatztunnels im Bau, 1964
Der Fotograf steht unterhalb der vormals gärtnerisch gestalteten Mitte des Platzes. Er inszeniert den Blick aus dem Tunnelmund auf die 162 Meter lange, leere Rampe, die fortan nur noch den Autofahrenden gehören soll.
Blick von oben: die nördliche Rampe des Bundesplatztunnels im Bau, 1964
„Kreuzungsfrei soll er einst die City mit der Westtangente verbinden!“ Dies galt freilich nur für die Autos. Durch den 600 Meter langen und 20 Meter breiten Autotunnel werden Fußgänger über lange Strecken daran gehindert, die Straßenseite zu wechseln.
Die Mittelstütze des Bundesplatztunnels für den S-Bahn-Ring, 1966
Schon mit dem Bau der U-Bahn-Linie 9 wurde der mittig geplante Autotunnel vorbereitet, die S-Bahn-Brücke verbreitert und in der Mitte abgestützt. Die tief reichende Betonkonstruktion dient gleichzeitig als Mittelwand des zweiröhrigen Autotunnels.
Wettbewerbsbeitrag von Herbert Stranz zum Neubau der Sparkasse der Stadt Berlin, vor 1965
Die Planung des Wilmersdorfer Tunnels war zur Zeit der Wettbewerbsauslobung bereits abgeschlossen und konnte den Entwürfen zugrunde gelegt werden. Die gesamten Außenanlagen sollten als Pkw-Stellplätze zur Verfügung stehen.
Der Volksparksteg oberhalb der Bundesallee, 1975
Mit der Eröffnung der ersten Schrägseilbrücke Berlins im Jahr 1971 sollte die fußläufige Verbindung zwischen den durch die Autotrasse getrennten Teilen des Volksparks wiederhergestellt werden. Bei gutem Wetter kann es auf dem vier Meter schmalen Steg schon auch mal eng werden.
Große Pläne für eine autogerechte Stadt
Zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs war das gesamte S-Bahn-Netz bis auf wenige Ausnahmen wieder befahrbar. Dennoch orientierten sich die Stadtplaner von Anbeginn am Ausbau einer autogerechten Stadt. Nach der Teilung der Stadt und des Schienennetzes im Jahr 1961 setzte der Flächennutzungsplan von 1965 auf den großzügigen Neu- und Ausbau der Berliner Stadtautobahn, auf Autobahntangenten und -zubringer sowie autobahnähnliche Hauptverkehrsstraßen. Die Straßenbahn in West-Berlin wurde durch neue U-Bahntrassen und Autobusse ersetzt und 1967 endgültig aus dem Verkehr gezogen.
Schnellstraßen-Planung für den Großraum Berlin, Stand 1957
Zeitgleich mit der Internationalen Bauausstellung (Interbau) 1957 gab es ost-west-übergreifend radikale Pläne für das übergeordnete Verkehrsnetz Berlins. Das Zentrum sollte durch vier Autobahntangenten eingefasst und durch Verkehrsstraßen ergänzt werden.
Freigabe eines Abschnitts der West- Berliner Stadtautobahn, 19. Dezember 1962
Das Triumvirat aus dem amtierenden Bundesminister für Verkehr Hans-Christoph Seebohm, dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt und Rolf Schwedler, dem Senator für Bau- und Wohnungswesen von West-Berlin, eröffnete das Autobahnteilstück Stadtring Nord.
Verabschiedung der letzten Straßenbahn, 2. Oktober 1967
Um 1865 fuhr die erste Pferdebahn vom Brandenburger Tor nach Charlottenburg, um 1900 war das gesamte Straßenbahnnetz bereits elektrifiziert. Nach der Teilung der Stadt wurden bis 1967 alle Straßenbahnlinien in West-Berlin stillgelegt.
Autobahnkreuzung am Oranienplatz in Kreuzberg nach den Angaben des West-Berliner Flächennutzungsplans, 1965
Der Oranienplatz wäre unter einem gigantischen Autobahnknoten in Form einer Turbine verschwunden. Hier hätten sich die beiden Stadtautobahnen „Südtangente“ und „Osttangente“ gekreuzt. 1970 wurde die Turbine im Plan zugunsten einer vereinfachten Kleeblattlösung ersetzt. Aufgegeben wurde die Autobahnplanung erst in den 1970er Jahren.
Autobahnverkehrsknoten am Funkturm kurz vor der Fertigstellung, 1971
Das Autobahnknoten-Foto stammt aus einer Farb-Dia-Sammlung des Berliners Rolf Goetze. Der RIAS-Hörspiel- und „Tagesspiegel“-Autor, zuletzt Programmdirektor der Urania, zeichnete darin das Bild einer „gekränkten Stadt“ (1950-1980).
Eine einzigartige städtebauliche Figur
Außerhalb des dicht bebauten Berlins plante der Stadtentwickler Johann Anton Wilhelm Carstenn ab 1872 mit dem Architekt Johannes Otzen eine Landhauskolonie mit Bahnanschluss, deren charakteristisches System von Plätzen und Straßen sich bis heute im Stadtgrundriss ausmachen lässt. Mit dem Bau des Joachimsthalschen Gymnasiums (1880) im Norden, der Kirche Zum Guten Hirten (1893) im Süden und unter sorgfältiger Ausgestaltung der Erschließungs-, Raum- und Grünstrukturen füllte sich die städtebauliche Figur mit Bauten und Leben. Wie lebendig sie war, lässt sich in Erich Kästners „Emil und die Detektive“ (1929) nachlesen.
Die „Carstennsche Figur“ im Plan des Verlags Julius Straube, 1907–1914
Die für die Stadt Wilmersdorf erstellten Kartenblätter bildeten die Carstenn’sche Figur beinahe vollständig ab. Sie zeigen darin ein differenziertes, jedoch nie vollständig verwirklichtes Grünsystem aus der Feder des Gartendirektors Richard Thieme.
Friedrich-Wilhelm-Platz: die Kirche Zum Guten Hirten von Ludwig Meidner, 1913–1916
Der Hauptvertreter des urbanen Expressionismus setzte dem Platz im Süden der Bundesallee mit diesem Gemälde ein Denkmal. Er schien in seinen „Apokalyptischen Landschaften“ die Zerstörung des Friedrich-Wilhelm-Platzes zu ahnen.
Anlagen an der Kaiserallee, Ansichtskarte vor dem Ersten Weltkrieg
Mit dem Auszug des Joachimsthal‘schen Gymnasiums fiel auch der Meierottopark an die Stadt Wilmersdorf. Unter alten Bäumen legte Richard Thieme eine schattige Promenade an – hier mit Blick auf den städtisch geprägten Bereich der Carstenn’schen Figur an der Pariser Straße.
Kaiserplatz von Südosten gesehen, 1912
1910 hatte die Stadt Wilmersdorf die „Winzerin“ aus dem Nachlass des Bildhauers Friedrich Drake aufgekauft. Mit dem eigens dafür umgestalteten Kaiserplatz setzte Richard Thieme die Skulptur in Szene, ohne die Anforderungen an einen Schmuck- und Verkehrsplatz zu vernachlässigen.
Südende der Kaiserallee mit Blick Richtung Friedrich-Wilhelm-Platz, 1931
Junge Bäume gliedern den Straßenraum. Die Kaiserallee ist hier 45 Meter breit. Nur 15 Meter gehörten der Fahrbahn, auf der Mittelachse verlief die Straßenbahn. Weitere 15 Meter beanspruchte jede Straßenseite mit Gehsteig und Vorgärten.
„Emil und die Detektive“: Litfaßsäule an der Kaiserallee, 1929 (bzw. 1931)
„In der Trautenaustraße, Ecke Kaiserallee, verließ der Mann im steifen Hut die Straßenbahn. […] Das Versteck war ausgezeichnet. Es lag zwischen dem Kiosk und einer Litfaßsäule. […] Plötzlich hupte es hinter Emil!“
Kaiserplatz/Bundesplatz – das Herz eines städtebaulichen Gesamtkunstwerks!
Der Wilmersdorfer Gartendirektor Richard Thieme hat den Kaiserplatz im Laufe seiner Amtszeit behutsam in einen modernen Stadtplatz umgewandelt. Durch den Autotunnel wurde dieser Platz, nunmehr Bundesplatz genannt, zerstört. War dies das letzte Wort?
Akteure
Helmut Ollk, Architekt (1911–1979)
Der gelernte Maurer war nach seinem Architekturstudium Mitbegründer des BDA (Bund Deutscher Architekten) und erfolgreicher Architekt in West-Berlin während der Nachkriegszeit. Die von seinen zahlreichen Wohn- und Geschäftshausbauten gesäumte Bundesallee wurde auch scherzhaft „Ollk-Allee” genannt.
Rolf Schwedler, Bausenator (1914–1981)
Der studierte Bauingenieur und dienstälteste Senator in der Geschichte West-Berlins war in den Jahren 1955 bis 1972 für das Bau- und Wohnungswesen und von 1967 an auch für Verkehr und Betriebe verantwortlich. Seine Amtszeit steht für Abriss und Neubau sowie den Ausbau West-Berlins zur autogerechten Stadt. Schwedler war Mitglied im Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin.